Meine Welt der Bücher

 

Aus kindlicher Sicht kam mir meine Umwelt so riesig, gewaltig und verzaubert vor! ….  All die vielen Wege, die man tagtäglich gegangen ist, die Wohnhäuser und Geschäfte, die vielen verzauberten, geheimnisvollen Orte sind aber nur in der Erinnerung außergewöhnlich und verzaubert geblieben. Es ist, als würde diese Zauberwelt nur für Kinder sichtbar und im Erwachsenenalter nur noch als Erinnerung abrufbar sein. Wenn man erwachsen wird, verändert sich nicht nur die Perspektive, man scheint auch ein gewisses Gefühl für die andere, vergangene, kindliche Welt zu verlieren. Es sei denn, man hält daran fest. Wie ich.

 

Meinen Zugang zu einer verzauberten Phantasiewelt habe ich in meinem Leben durch Bücher stets offen gehalten. Das ist eine Gabe für die ich sehr dankbar bin und die mir auch noch heute im Erwachsenenalter den Zugang zu anderen Welten  ermöglicht.

 

Es gibt Menschen, für die Bücher traditioneller Bestandteil der Urlaubslangeweile ist, das Buch für den Strand, irgendwas Leichtes. Diese „Leser“ blättern ein paar Seiten um, kämpfen unentschlossen gegen die Müdigkeit an, dösen wieder ein und haben nach zwei Tagen Buch, Autor und Inhalt vergessen. Zu Recht, denn das ist Wegwerfware, Junkfood für buchstabierende Idioten, die nicht mal vor der „Autobiographie“ eines 19jährigen zurückschrecken.

 

Es gibt auch Leser, strebsame Leser, die ihre Bücher mit Bedacht wählen, weil sie wissen, dass Bücher den eigenen Horizont erweitern und das Leben bereichern. Man findet diesen Menschenschlag in Leihbibliotheken und gut sortierten Buchhandlungen, sie kennen die Spiegel-Bestsellerlisten und ihre Hohepriester heißen Reich-Ranicki und Karasek. Sie lesen mit bewundernswertem Pflichtgefühl die empfohlenen Neuerscheinungen. Gebildete Erwachsene, intellektuell aufgeschlossen, sind sie im Gespräch angenehm und unterhaltsame Plauderer. Wir kennen viele von ihnen, schätzen und mögen sie.

 

Und es gibt Leser wie mich.

 

Wenn ich lese, hebt sich der Vorhang, der Zauber und Magie vom Alltag trennt und diesen grau werden lässt. Getragen von den sanften Wogen im unendlichen Meer der Phantasie ziehe ich mit den Helden auf große Fahrt und begleite David Copperfield und Oliver Twist durch das viktorianische London, bestaune den „Hof der Wunder“ in Quasimodos Paris und durchstreife die uralten mystischen Gassen Prags auf den Spuren des Golem. Ich sitze an den Lagerfeuern der Karawanen und lausche den Geschichten von Harun Al Raschid, strande mit Sindbad am Magnetberg und bewundere die Messingstadt.

 

Ich reise in 80 Tagen um die Welt und zwar zu Wasser, zu Lande und in der Luft: Ob in Andersens fliegendem Koffer oder zwanzigtausend Meilen tief unter dem Meer in der Nautillus, vielleicht hoch zu Pferde mit Don Quixote. Ich suche mit Bruder William in den geheimen Gängen einer labyrinthischen Bibliothek nach einem vergifteten Manuskript und jage mit Sherlock Holmes den gefürchteten Professor Moriarty durch den dicken, beißenden Londoner Nebel. Ich folge aber auch mit Alice dem Märzhasen in das Wunderland, ziehe mit Frodo und Sam durch das düstere Moria, laufe mit Daniel Sempere durch das düstere und mystische Barcelona und suche mit Bastian nach einem Namen für die kindliche Kaiserin Phantasiens.

 

Das alles erlebe und durchlebe ich wirklich, denn ich habe mir das Wichtigste und Schönste aus der Kindheit bewahrt: das Staunen. Und die Offenheit gegenüber den Wundern und dem Wunderbaren.

 

Ich weiß,  dass Bücher leben. Sie leben mit uns und in uns, in unserem Gedächtnis. Ich trage die Bücher meines Lebens für immer in mir, wie einen Schatz, der nur mir gehört.