Zwei Welten

 

Ich weiß genau, wie es ist,  wenn man zwei Herzen in sich schlagen fühlt. Wie schwer es war, die neue Sprache in dem neuen Land zu lernen, samt den dortigen Gepflogenheiten. Wie unglücklich sich ein Neuanfang anfühlen und wie viel Angst einem die anfängliche Fremdheit machen kann. 

 

Ich bin in zwei politischen Systemen, mit zwei Sprachen und in zwei Welten aufgewachsen. Während dieser Weg anfangs sehr beschwerlich war, empfinde ich ihn heute als Bereicherung. Meine beiden Welten verschmolzen irgendwann zu einer großartigen Einheit, von der ich bis heute zehre.

 

Den Unterschied zwischen Heimat und Zuhause kann ich nur fühlen und nicht beschreiben . Bei Zuckerbrot gerate ich bis heute ins Schwärmen und beim Duft reifer Tomaten fühle ich mich augenblicklich in meine Kindheit zurückversetzt.

 

Als meine Mutter mich in Polen (Bytom) zur Welt brachte, hatte sie bereits seit 48 Stunden mit mir in starken Wehen gelegen. Damals wurde seitens des Krankenhauspersonals keine Zeit für Gefühlsausbrüche oder ein nettes Wort verschwendet. Es gab keine Schwangerschaftskurse, keine freundlichen Hebammen, die den werdenden Müttern mit Rat und Tat zur Seite standen oder das heutzutage weit verbreitete Krankenhaushopping, dem man sich voller Enthusiasmus und Engagement hingibt, bis man sich endlich auf ein angemessenes, mit allem Schnickschnack ausgestattetes Krankenhaus, für die Niederkunft einigt.

 

Damals und dort war alles einfach nur einfach. Man bekam das Baby und durfte anschließend nach Hause, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wollte man ein gewisses Privileg erfahren, musste man dafür bezahlen. Und da es die Menschen dieser Zeit in den meisten Fällen nicht konnten, lernten neben den jungen Müttern auch die Babys dieser Zeit bereits am Anfang ihres Lebens den bitteren Beigeschmack des Kommunismus kennen.

 

Ich wurde also in einem Land geboren, das in einer sehr schwierigen politischen Lage steckte, das seinen Leuten nicht viel zu bieten hatte. Das vom Kommunismus vergiftet war. Rückblickend weiß ich jetzt, wie schwer meine Eltern es damals hatten. Dass es keine Babynahrung gab, ebenso wenig gesundes Obst oder andere lebenswichtige Güter, dass der Kommunismus an jeder grauen Ecke damaliger Zeit spürbar war.

      

Für uns Kinder jedoch nicht, auch wenn ich aus heutiger Sicht weiß, wie viel wir entbehren mussten. Aber was man nicht kennt, kann man auch nicht missen. Ich blicke auf eine Kindheit zurück, in der für mich Lebensmittelmarken in den 80er Jahren zu meinem Alltag gehörten, auch wenn ich jetzt weiß, dass sie eigentlich eine Erscheinung des Krieges sind.

 

Ein weiteres Bild prägte nicht nur mein eigenes Stadtbild, sondern war ein weit verbreitetes Phänomen meiner Kindheit und des Kommunismus: meterlange Menschenschlangen. Sie waren vor jedem Geschäft zu sehen, das mit einer neuen Lieferung entweder erst im Laufe des Tages rechnete oder bereits eine erhalten hat. Die Menschen dieser Zeit mussten sich teilweise bei Eiseskälte und zu den unmöglichsten Zeiten stundenlang in eine Schlange stellen, ohne zu wissen, ob und was es geben wird. Hauptsache, man konnte überhaupt irgendetwas Essbares einkaufen. Vor sämtlichen Läden gab es diese Warteschlangen, meterlang! Meistens begannen die Leute sich in den frühen Morgenstunden, oft noch während der Dunkelheit, einzureihen. Bei den harten polnischen Wintern war dies natürlich besonders belastend. Die Menschen standen oft stundenlang bei klirrender Kälte, Wind und Schnee vor den geschlossenen Läden. Man unterhielt sich kaum miteinander und achtete lieber mit Argusaugen darauf, dass sich niemand vordrängelte. Unsere Mütter hatten uns Kinder meistens mit, um uns auch in die Verantwortung zu nehmen, den kostbaren Platz in einer anderen Schlange freizuhalten. Alle waren sie getrieben von der Hoffnung, Lebensmittel für die Familie einkaufen zu können. Manchmal klappte das, oft ging man aber auch nach stundenlangem Warten mit leeren Händen und Frust im Herzen wieder nach Hause und musste aus der Not heraus einfach improvisieren.

 

In meiner Erinnerung sehe ich leere Regale in den Läden, leere Haken in Fleischereien, Brot vom Vortag, Unmengen Essig in Flaschen abgefüllt, als Lückenfüller in den leeren Läden, eine Lebensmittelknappheit, von der Regierung gesteuert und gewollt.

 

Eine Welt, die aus der heutigen, westlichen Sicht, unvorstellbar erscheint.

 

Und dennoch war es kein flüchtiger Traum, wir lebten dieses Leben jeden Tag, ganz real und mit all den Entbehrungen und Ängsten, die der Kommunismus mit sich brachte.