Giftige Liebe

Honeymoon

Am Anfang ist alles wunderschön. So sehr, dass sie ihr Glück kaum fassen kann. In dieser ersten Phase der Verliebtheit gibt sie viel von sich preis. Eigentlich alles. Sie fühlt sich verstanden und geliebt, weil er so viel Interesse an ihr zeigt. Wie unter einem Mikroskop entdeckt er ihre positiven Eigenschaften und kleinen Schwächen und hält sie für sich gedanklich fest.

Er bewundert sie, wie es noch niemand zuvor tat. Er ist intelligent, wortgewandt und sensibel. Er verliert nie die Beherrschung. Er ist ihr Retter. Nur zu gern lässt sie sich von ihm die Welt erklären. Er stellt ihre Stärken hervor, ihre Schwächen spielt er als unwichtige und liebenswerte Eigenschaften herunter. Er ist anders als die Anderen, er gibt ihr das Gefühl, seine Königin zu sein, nichts scheint diese Liebe jemals zerstören zu können. Aus ihrer Sicht. Alles ist übertrieben und überzogen. Er idealisiert sie auf eine ihr bisher völlig unbekannte Weise. Sie schwebt in den Wolken, sie fühlt sich so vergöttert und bestärkt, wie noch niemals zuvor. 

Für sie fühlt sich alles toll an und er fühlt sich durch ihre völlige Hingabe enorm bestätigt. Sie wertet ihn auf. Ihre Interessen und ihre Lebensweise saugt er auf wie ein Schwamm und setzt sie für sich um. Er weiß genau, welche Mittel er anwenden muss, damit ihm das gelingt. Schließlich macht er es nicht zum ersten Mal. 

'Du bist ich und ich bin du'... Sie ist überzeugt davon, ihren Seelenverwandten getroffen zu haben. Sie gibt sich ihm völlig hin, vergisst ihr eigenes Ich. Aber das ist auch plötzlich nicht mehr wichtig. Sie hat doch ihn, er wird zu ihrem einzigen Lebenssinn. Sie liebt ihn abgöttisch. 

Er hat ganze Arbeit geleistet. Toll.

ER

Würde er sich direkt am Anfang offen destruktiv verhalten, wäre keine Frau der Welt bereit, bei ihm zu bleiben. Das weiß er. Aus anderen Erfahrungen hat er dazu gelernt. Er lernte, sich anzupassen und zu verschleiern.

Er weiß, wie wichtig es ist, sie zunächst in den Himmel zu heben und alles ganz vorsichtig in Gang zu bringen. Er lässt diese neue Beziehung erst einmal wachsen. In dieser Phase genießt er es sehr, dass sich diese 'starke' Frau für ihn interessiert. Wendet sie sich mit ihren Bedürfnissen an ihn, wird das aber auch schnell zu einer nervigen Belastung für ihn. Aber diese lässt er sie zunächst nicht spüren. Noch nicht. 

Da sie es nicht wagt, ihn zu kritisieren, findet er diese Zeit trotz allem anregend und belohnend. Sie stellt wenig Forderungen und er nutzt die Zeit, ihre Schwächen genau zu studieren. Wenn er ihre Schwächen ins Spiel bringt, kann er seinen Willen später besser durchsetzen. Aber dieses Verhalten will er ihr noch nicht zeigen. Noch ist sie nicht da, wo er sie haben will. 

Wagt sie es doch mal, macht sie ihn mit ihrer Kritik so unfassbar wütend und setzt sich von ihm ab. Davon weiß sie aber noch nichts und es fällt ihm jetzt schon schwer, das zu verstecken. Genauso ist es mit ihren Erfolgen. Diese gefallen ihm auch nicht. Er braucht keine Partnerin mit eigenen Gedanken oder Ansichten. Er will eine Person, die ihn bestätigt und ihm emotionalen Input gibt. Er will eine Frau, in der er Gefühle auslösen kann und das bitte auf Knopfdruck. Sie soll so funktionieren, wie er das will. Er braucht eine Frau, die seine Frustration, Unsicherheit und Aggression übernimmt und diese am liebsten an sich selbst oder anderen Menschen in ihrem Umfeld abreagiert. Aus seiner Sicht braucht sie nämlich keine Freunde. Sie hat ja jetzt ihn und er hegt den Anspruch, ALLES für sie zu sein. 

Beziehungsarbeit und der echte Erhalt der Partnerschaft durch Geben, Nehmen und Liebe sind ihm fremd. Er will Macht. In erster Linie über sie.

ZWEIFEL

Die ersten Auseinandersetzungen kommen wie aus heiterem Himmel. Aber nur für sie. Sie fragt sich, wie das nur passieren konnte, zweifelt an sich. Vermutlich war es aber nur ein schlechter Tag und sie will nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen. Es ist doch so schön mit ihm und die Sehnsucht nach dem emotionalen Höhenflug lässt diesen eigenartigen Streit schnell wieder vergessen. 

Aber mit der Zeit werden die schlechten Tage häufiger und sie fragt sich immer öfter, was da eigentlich passiert. Die Streitgründe scheinen vage und sind nicht zu greifen. Sie versucht immer intensiver, alles dafür zu tun, um zumindest ab und zu wieder an das anfängliche Gefühl der Verbundenheit anzudocken. Sie vermeidet es, ihn zu verärgern. Sie wil alles richtig machen.

Sein schwarzer Humor, Sarkasmus und Ironie sind an der Tagesordnung. Gerne auch vor ihren Freunden oder Bekannten. Seine kleinen, schmutzigen Witzchen können sie doch nicht ernsthaft verletzen - ist doch lustig, oder? Und wenn ihr das Lachen irgendwann vergeht, dann ist das nur das Zeichen für ihre eigene Humorlosigkeit. 

Irgendwann braucht er seine Kritik nicht mehr offen zu äußern. Es reicht, eine Augenbraue zu heben oder leise zu grummeln. Sie wird das schon richtig verstehen, schließlich hat er sie gut trainiert. Sie weiß genau, dass auf so eine kleine Geste eine Zeit folgt, in der sie mit Ignoranz und Missachtung gestraft wird. Er kritisiert auch nicht direkt sie, sondern den Umstand, dass das Kind zu laut ist, die Wohnung zu unordentlich oder, dass sie zu oft mit ihren Freunden unterwegs ist. Es ist ja ihre Schuld, wenn er sich so einfach nicht wohl fühlen kann und schlechte Laune hat. 

Was gestern noch richtig war, kann heute schon ganz anders sein. Hat er mal wieder schlechte Laune, findet er immer einen Grund, ihr ihre Schlechtigkeit vor Augen zu halten. Nimmt sie sich Zeit für den Haushalt, ist sie lieblos und kalt. Lässt sie den Haushalt liegen und widmet sich ihm, ist sie nicht in der Lage, den Haushalt auf die Reihe zu kriegen. In seinen Augen kann sie nichts richtig machen. Es geht ihm nämlich nicht um das Finden von Lösungen, sondern vielmehr darum, sie zu destabilisieren und die Kontrolle zu behalten.

Er erwartet weitaus mehr von ihr, als er selbst gewillt ist zu geben. Es wird ihm nie genug sein. Ist eine seiner Forderungen erfüllt, taucht die nächste schnell auf, die dem Gegenteil der ersten entspricht. Ihm geht es nicht um Liebe oder Lösungen, sondern nur um Macht. Er geht davon aus, dass ihre Entgleisungen immer ein Zeichen ihrer Unzulänglichkeit sind und erklärt ihr das auch immer wieder in seiner selbstherrlichen Art.

Geht es ihr mal schlecht, fühlt sie sich von den Anstrengungen dieser Beziehung mal ausgelaugt und erschöpft, ist Mitgefühl das Letzte, das sie von ihm erwarten kann. Statt dessen hört sie, dass sie sich nicht so anstellen soll oder dass sie seine Energie mit ihrem schwachen Verhalten vernichtet. 

Im Alltag versucht er sie irgendwann langsam, aber beständig, Irritationen auszusetzen. Er verlangt Kleinigkeiten: Dass sie die Türen nicht zumachen, sondern nur angelehnt lassen soll. Er fordert, dass sie die Küche in Ordnung hält, obwohl er genau weiß, dass nur eine ungespülte Tasse der Grund für seine beißende Kritik ist. Ihre Figur sei auch nicht mehr die, wie sie anfangs war. Man kann sich doch nicht so gehen lassen. Er zeigt ihr auf, wie dumm sie doch ist. Sie reize ihn intelektuell nicht. Sie könne sich glücklich schätzen, ihn abgekriegt zu haben. 

Sie möchte die Beziehung mit solchen Kleinigkeiten nicht belasten und geht darauf ein. Sie beginnt ganz unmerklich, sich nach seinen Wünschen komplett auszurichten. Für ihn ein Erfolgserlebnis, das ihn antreibt, sein Spiel auszuweiten. Zeigt sie weiteres Fehlverhalten, reagiert er übertrieben panisch und bauscht Kleinigkeiten auf, um ihr ihr Unvermögen immer wieder aufzuzeigen. 

Wenn Liebe krank macht.. 

Sie bleibt immer öfter mit den sich aus diesem irritierenden Verhalten resultierenden ungelösten Problemen und Fragen zurück. Sie wird fahrig und nervös und macht weitere kleine Fehler, die er jedes Mal neu anklagt. Sind keine Probleme in Sicht, zettelt er einfach einen Streit an und geht auf Liebesentzug. Er merkt sich, wo sie ihre Grenzen setzt und wo sie ihn gewähren lässt. Sein Wert ist ihr Maßstab und das muss sie begreifen lernen. Kritik an ihm empfindet er als Vernichtung, die nicht hingenommen werden darf. Ihre Schwächen werden zu seinen Pluspunkten. Er spielt mit ihrer Verlustangst. Er testet sie. Er verunsichert sie. Kontrolliert. Isoliert sie. 

Es gibt plötzlich so viele Dinge, die ihn stören. Sie spielt sich manchmal in den Vordergrund, das gefällt ihm nicht. Sie kümmert sich um die falschen Leute. Er lügt und stellt sie als vergesslich dar. Er empfindet sie als nervtötend. Bezeichnet sie als Belastung.

Er legt die Spielregeln fest, ohne ihr zu sagen, welches Spiel gespielt wird. Er bestimmt jetzt, wie sie auf etwas reagiert. Ist sie zu fröhlich, weiß er genau, was er tun muss, um das zu unterbinden. Ist ihm nach mehr Bestätigung, macht er sie ganz unauffällig eifersüchtig. Will er seine Ruhe, ist es ihr Unvermögen, den Abend gemütlich zu gestalten und geht alleine aus. Möchte er der Langeweile entfliehen, zettelt er einen Streit an und bringt sie zum Weinen. Er macht ihr deutlich, dass sie ohne ihn ein Nichts ist, weil sie nichts richtig machen kann. 

Nur schleichend wird ihr bewusst, dass da etwas vorgeht, das nicht in Ordnung ist. Sie wird jetzt oft krank, fühlt sich unglücklich, isoliert und verloren. Sie hat keinen Halt mehr. Ihr Körper sendet ihr Warnzeichen, ihre Psyche nimmt Schaden durch die psychische Gewalt, der sie sich selbst ausgesetzt hat. 

Ihr gesunder Menschenverstand wird ausgeblendet, sie kann nicht mehr richtig denken. Es fühlt sich an, als hätte jemand einen großen Eimer voller Kleister über ihren Kopf geschüttet. Was ist wahr und was nicht? Werde ich allmählich verrückt? Was stimmt nicht mit mir? 

Schuld an allem hat nur sie - die Schlinge wird immer enger. Das Bauchgefühl bleibt, auch wenn nichts Greifbares da ist. Ein anstrengendes Wechselbad der Gefühle beginnt. Die psychische Gewalt spürt sie nur subtil, sie kann sie nicht greifen. Und will es auch nicht, von ihrer unbändigen Liebe zu ihm getrieben. 

Ihm macht das Ganze schon lange keinen Spaß mehr - er ist fertig. Er verliert das Interesse an dieser schwachen, labilen Persönlichkeit. Wer soll ihn jetzt noch bewundern? Diese völlig gebrochene Frau? Diese hysterische Ziege, die ihm erzählen will, wo es langgeht und immer unausstehlicher wird? Das Häufchen Elend, das so oft wimmernd vor ihm sitzt? 

Ja, es ist ist ein Hochgefühl, sie heulend vor ihm zu sehen - schließlich ist sie SEIN Werk - aber das jeden Tag? Nein, er ist fertig mit ihr, es ist vollendet. Sie langweilt ihn. 

Da sucht er sich doch lieber wieder was Neues, ein neues Objekt, das er wieder aufbauen kann, um es anschließend wieder zugrunde zu richten. 

Er muss schließlich auf seine Seele achten, sonst tut es ja keiner.

Ich bin ich und du bist nichts.