Hamsterkäufe, Krise, Flucht - kommt mir bekannt vor!

Als ich ein kleines Kind war, wurde durch den damaligen Ministerpräsidenten Polens, Wojciech Jaruzelski, das Kriegsrecht verhängt. Von jetzt auf gleich. Dieser Ausnahmezustand mit seinen strengen Regeln, Entbehrungen und Angst dauerte bis 1983, endgültig wurde er erst 1989 aufgehoben.

 

Es herrschte Ausnahmezustand in den Städten Polens. Was folgte, war eine Zeit voller Angst, Gewalt und Unterdrückung. Grundrechte wurden stark eingeschränkt, bzw. gänzlich außer Kraft gesetzt. Es gab von heute auf morgen kein Briefgeheimnis mehr, im Fernsehen wurde nur Zensiertes gesendet, Pässe wurden nicht mehr ausgestellt und der objektive Informationsfluss wurde abgeklemmt. Von einem Tag auf den anderen veränderte sich alles.

 

So wurde plötzlich die Polizeistunde eingeführt. Niemand durfte sich zwischen 22.00 und 06.00 Uhr auf der Straße aufhalten. Wurde man trotzdem aufgegriffen, drohten Gefängnis oder zumindest eine Tracht Prügel. Die prügelnden Reserven der Bürgermiliz nutzten die ihnen nunmehr übertragene Macht über andere Menschen für eine unkontrollierte und immer mehr ausufernde Rücksichtslosigkeit voller sinnloser Gewaltexzesse.

 

Menschen, die sich auf der Straße unterhielten und dabei von der Miliz erwischt wurden, wurden mit Fäusten und Knüppeln auseinander geschlagen, manchmal auch anschließend verhaftet.

 

Ein weiteres Merkmal des Kriegrechts war der bewusste Einsatz von Streitkräften zur Einschüchterung. Neben den skrupellosen und gewalttätigen Helfern der Miliz, prägten plötzlich schwere Panzer und bewaffnete Soldaten das Stadtbild und verbreiteten Angst und Schrecken.

 

Auch unter den Kindern, denen die Anspannung und Ängste der Eltern nicht entgangen sind. Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Momente der Angst, entweder vor den vielen bewaffneten, finster und streng blickenden Soldaten oder vor dem schweren Geschütz, das aufgefahren wurde. Manchmal hatte ich aber auch einfach nur Angst, weil ich dieselbe meiner Mutter angemerkt habe.

 

Wir waren damals noch Kinder, das Ausmaß dieser Staatskrise war für uns nicht greifbar - das wirklich schwere Los der Verantwortung trugen unsere Eltern.

 

Sie haben dafür gesorgt, dass wir trotz der gesteuerten Lebensmittelknappheit etwas zu essen hatten. Sie waren es, die sich bei Wind und Kälte in die meterlangen Schlangen stellten und um jedes Stück Lebensmittel kämpften. Sie waren die Organisationskünstler, die mit den zugeteilten Lebensmittelmarken so gekonnt jonglierten, dass wir regelmäßig Zucker, Butter und Fleisch hatten. Und letztlich waren sie es auch, die sich schützend wie ein Vorhang zwischen uns und den grauen Kommunismus hängten und uns unsere Kindheit nicht entreißen ließen.

 

Sie, die Überlebenskünstler, die viel mehr geleistet haben, als Essen für die Familie zu organisieren. Die jeden Tag Angst und Unsicherheit ausgehalten haben. Die eigenen Grenzen ständig neu abstecken mussten. Sie haben für uns voller Zuversicht und Hoffnung an eine aussichtsreiche Zukunft geglaubt und den Mut gehabt, ein Leben hinter sich zu lassen, um ein Neues woanders zu beginnen.

 

Sie hatten nichts zu verlieren und haben alles auf eine Karte gesetzt. Es gewagt. Sich dem Risiko gestellt und der Angst die Stirn geboten.

 

Aber ist das wahr? Hatten sie wirklich nichts zu verlieren? Was für ein schwerwiegender Verlust ist es doch, die eigene Heimat zu verlassen? All den Freunden, ans Herz gewachsenen Nachbarn und geliebten Orten unwiederbringlich den Rücken zu kehren? 

 

Tägliche, eingespielte Rituale in vertrauter Umgebung aufzugeben, um sich dann mit Fremdem auseinander zu setzen? 

 

Für uns haben sie ein Stückchen ihrer Seele gelassen, dessen bin ich mir sicher. Sie haben viel verloren, aber auch viel gewonnen. Sie haben eine Lebenstür geschlossen und eine neue öffnete sich. In eine wunderbare, neue Welt, die heute unser Zuhause ist.

 

Man weiß erst dann, wie stark man wirklich ist, wenn es die einzige Option ist, die man hat.