Endstation Hoffnung

Auschwitz-Birkenau. Ein Ort des Grauens. Ein Ort der Tränen. Ein Ort der Trauer. Und einer unfassbaren Stille. Ein verlassener Ort, ein riesiger Friedhof, inmitten einer spürbaren Trostlosigkeit. Gänsehautmomente. Fassungslosigkeit. Abscheu. Es ist ein Ort der Ermahnung, der Warnung. Der Erinnerung, an all die geschändeten, verlorenen Seelen, die dort ihrer Menschlichkeit, ihrer Würde und ihrer Leben auf so unvorstellbare Weise beraubt wurden. 


Ich habe mich mit dem Holocaust im Vorfeld sehr beschäftigt, insbesondere habe ich über Auschwitz sehr viel gelesen. Aber wenn man diesen Ort dann aufsucht und sich dort vergegenwärtigt, welches Leid dort tatsächlich geschehen ist, ist es eine extrem berührende Erfahrung, weit entfernt von der eigenen Vorstellungskraft.


Vieles habe ich bereits gesehen, in Filmen, in Dokumentationen, in Büchern, in Reportagen. Dort steht man jedoch direkt davor, mittendrin in dieser trostlosen Stille. Dort kriegt das Unfassbare plötzlich ein Gesicht. Dort blickte ich in die unzähligen schwarz-weiß Porträts der Gefangenen. In ernste und harte Gesichter. Männer, Frauen, Kinder. Dort sah ich die verglasten Ausstellungsräume mit einer nicht abschätzbaren Menge an Brillen, Kleidung, Schuhen, Koffern... und menschlichem Haar. Wie viele Menschen sind notwendig, um diesen Berg von sieben Tonnen Haar zusammen zu tragen...? Bei diesem Gedanken stockt mir der Atem. 


Die Vorstellung davon, was diese Menschen durchgemacht haben, wie sie sich gefühlt haben müssen als sie begriffen, was ihnen dort bevorstand, schnürt mir die Kehle zu. Ich denke daran, ob sie mit der Zeit und nach all den erfahrenen Grausamkeiten überhaupt noch in der Lage waren zu fühlen? Oder blieb ihnen nur noch die Angst?


Ich erfahre vor Ort, dass trotz der Bemühungen der Deutschen, vor dem Rückzug das Lager zu zerstören, die Rote Armee dennoch 350.000 Männeranzüge und 830.000 Frauenkleider aufgefunden hat. Unvorstellbare Zahlen!


Mehr als eine Million Menschen wurde in Auschwitz-Birkenau ermordert, etwa 900.000 der Deportierten direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern. Weitere 200.000 Menschen kamen zu Tode durch Krankheit, Unterernährung, Misshandlungen, Kälte oder medizinische Versuche.  


Diese vielen Menschen waren vollkommen rechtlos und der grausamen, unberechenbaren Willkür des SS-Wachpersonals völlig ausgeliefert. Die SS sorgte auch mit Bedacht dafür, dass zwischen den Gefangenen keine Solidarität entstehen konnte. Durch die permanente Lebensgefahr im Lager entstand eine Situation, in der jeder gegen jeden ausgespielt wurde. Jeder Gefangene war auf sich selbst gestellt, keiner von ihnen durfte auf die Hilfe des anderen hoffen. Sie waren völlig ausgeliefert, einsam und hoffnungslos. Fluchtversuche wurden mit dem Hungertod im Bunker bestraft, oft wurden auch Angehörige von Flüchtigen verhaftet und zur Abschreckung im Lager ausgestellt. Mitgefangene wurden für die Fluchtversuche ebenfalls hart bestraft. Grausame Verhöre, Misshandlungen, Bestrafungen und öffentliche Hinrichtungen waren an der Tagesordnung. Von besonderer Bedeutung für das Verständnis des KZ-Systems war die Übertragung von Macht an sog. Funktionshäftlinge. Diese 'Kapos' hatten als Blockälteste die Ordnung im Lager im Sinne der SS aufrechtzuerhalten. Dies versetzte sie einerseits in eine kaum vorstellbare moralische Ausweglosigkeit, andererseits bot es ihnen die illusorische Hoffung aufs Überleben. 


Während der Deportation wurden die Menschen wie Tiere dichtgedrängt in Viehwaggons gepfercht und über weite Strecken nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Ohne zu ahnen, welches Grauen sie dort erwartet, wurde ihnen suggeriert, sie kämen in ein Arbeitslager. Man spielte mit deren Hoffnung auf Leben. Im Vorfeld wurden die Menschen aufgefordert, nur die beste Kleidung, Wertsachen, Schmuck und Geld mitzunehmen. All das wurde ihnen bei der Ankunft abgenommen. Alle Deportierten fanden in Auschwitz-Birkenau das pure Grauen und letztlich fanden sie fast alle dort den Tod. 


Nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau wurden sie auf der 'Rampe' in zwei Gruppen unterteilt: arbeitsfähig und arbeitsunfähig. Vor allem junge Männer und Frauen wurden als Zwangsarbeiter missbraucht. So mussten sie zum Beispiel für die Rüstungsindustrie der Deutschen Wehrmacht schuften oder wurden für den Ausbau des Lagers und der Krematorien missbraucht. Aber auch sie würden später an Hunger und Erschöpfung sterben. Niemand sollte das Lager lebend verlassen. Die Älteren, Kranken, Schwangeren und Kinder wurden direkt nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau getötet. 


Ich stehe auf der 'Rampe' und fühle die Verzweiflung dieses trostlosen Ortes in jeder Faser meines Körpers. Ich fühle eine überwältigende Beklemmung und Fassungslosigkeit ergreift mein Herz. Bei dem Gedanken daran, welche dramatischen Szenen sich dort abgespielt haben müssen, kommen mir die Tränen. Als den Menschen plötzlich klar wurde, was ihnen bevorstand. Als sie plötzlich wussten, dass sie in den Tod gefahren wurden. Als in einem einzigen Augenblick jede Hoffnung verloren war. Familien wurden dort auseinander gerissen, Eheleute wurden auseinander geschlagen, Kinder und Babys wurden ihren Müttern brutal entrissen. In einem einzigen Moment, inmitten von diesem Chaos, den Schreien und dem Flehen dieser vielen aufgeschreckten Menschen, wurde ihnen allen das Ziel dieser Reise klar. Sie mussten zusehen, wie die Nazis noch auf der 'Rampe' Angehörigen einfach in den Kopf schossen, Babys gegen die Viehwaggons schleuderten oder die Hunde auf flüchtende Menschen hetzten. Sie waren umzingelt von Monstern, die nichts als Skrupellosigkeit und Sadismus in sich trugen. 


Die meisten der Menschen wurden nach der sog. Selektion direkt in die Gaskammern geschickt. Um Massenpanik zu vermeiden, log man ihnen vor, sie bekämen die Gelegenheit, sich nach der langen Reise zu duschen. Man zwang sie, sich zu entkleiden und trieb sie massenweise in die getarnten Duschräume. Dort verrigelte man die Türen und ließ statt Wasser das Zyklon B durch die Vorrichtungen in die Räume. Die Menschen erstickten elendig. 


Denjenigen, die zum Arbeiten aussortiert wurden, wurde zunächst der Kopf kahl geschoren und eine Häftlingsnummer eintätowiert. Man zwang sie, sich zu entkleiden und gab ihnen einheitliche, dünne Häftlingskleidung. Unterwäsche wurde nicht verteilt. Man nahm ihnen ihre Würde, ihre Persönlichkeit, ihre Menschlichkeit. Sie bekamen kaum zu essen und die wenigen Mahlzeiten, die ausgegeben wurden, mussten ohne Besteck zu sich genommen werden. Die Gefangenen hatten keine Handtücher, keine Seife, kein Toilettenpapier. Teilweise zu zehnt mussten sich die Gefangenen eine Pritsche mit schmutzigen Decken teilen. Stundenlang mussten sie Appelle stehen, in der heißen Sonne, im Regen, im eiskalten Schnee. Vor Ort erfahre ich, dass der längste Appell 19 Stunden dauerte. Eine konstante Erniedrigung. Eine bewusste Qual. Eine Demonstration der Ausweglosigkeit, der Auslieferung der Gefangenen und der eigenen Macht. Die Appelle wurden auch dafür genutzt, um Prügel- oder andere Terrorstrafen gegen die Flüchtlinge zu vollziehen, zur Abschreckung mussten alle Gefangenen zusehen. 


Die Unterkünfte der Gefangenen waren einfache Baracken und ehemalige Pferdeställe, in denen Menschen zu Tausenden zusammengepfercht wurden. Die Enge, die fehlende Hygiene, Hunger und Kälte führten zu Krankheiten und Epidemien. Täglich starben Menschen in den Unterkünften. Die Überlebenden waren umgeben von Sterbenden und Leichen. Millionenfache Höllenquallen. Millionenfache Todesangst.


In Auschwitz-Birkenau wird das Unfassbare greifbar. Greifbar und sichtbar. Der unwirkliche Frieden, der von diesem Ort der systematischen, maschinellen Menschenvernichtung ausgeht, lässt niemanden kalt. Auschwitz-Birkenau steht wie kein anderes Lager für die Verbrechen der Deutschen im 2. Weltkrieg. Es mahnt als Chiffre für den Moralverlust, dass die Entfesselung totaler Gewalt in jeder zivilisierten und aufgeklärten Gesellschaft möglich ist. 


Auch heute? Aus meiner Sicht JA!


Wir leben in völliger Freiheit, in Wohlstand und Sicherheit. Wir haben Privilegien und Rechte, wir haben Arbeit, ein schönes Zuhause, wir haben genug zu essen, wir dürfen die Welt frei bereisen, ins Theater gehen, uns frei bewegen. Wir leben und lieben unsere Demokratie und werden durch Erinnerungsstätten wie Auschwitz-Birkenau ermahnt, an unserem schönen, freien und friedlichen Leben festzuhalten, es zu schätzen, es zu schützen und rechtsextremistischen Bewegung stets die Stirn zu bieten. 


Auschwitz-Birkenau ist eine eindrucksvolle Warnung davor, was aus uns werden kann, wenn wir jede Moral fallen lassen.