Israel verändert

 

Am Ende meiner Pilgerreise auf Jesu Spuren, dieser Selbsterfahrung mit Gottesdiensten, Bibellesungen an zeitlosen Orten und inbrünstigen Gesängen in hohen Hallen, sehe ich das Land der Bibel mit anderen Augen. Das Heilige Land ist kein Land der Heiligen.

 

Es ist umstritten und umkämpft seit es Menschen gibt, und die Religionen um die Wahrheit und das letzte Wort ringen.

 

„Israel verändert“ – das kann ich bestätigen. All die durchbeteten Orte voll tiefer Frömmigkeit, all die zu Stein gewordenen Legenden, die einem aus dem Religionsunterricht bekannt sind, all die Trittstufen, die von Fußsohlen, Knien und Lippen, wieder und wieder gestreift, glänzen, bringen Geschichte und Gegenwart zusammen.

 

Jerusalem – diese Stadt hat einen starken Eindruck bei mir hinterlassen. Ein Meer aus Kirchtürmen erhebt sich wie ein Fingerzeig in den Himmel, und über allem thront die goldene Kuppel des Felsendomes, die im Licht der aufgehenden Sonne überirdisch schön leuchtet.

 

Die Unvergleichliche – Stadt Davids, Ort der Kreuzigung und Auferstehung Jesu, ist unwiderstehlich und verstörend zugleich. Ein erzwungenes Miteinander von Christen, Juden und Muslimen, inmitten von einem Übermaß an Moscheen, Synagogen und christlichen Kirchen. Alles in dieser Stadt ist historisch kontaminiert, verschweißt mit Glaubensgeschichte und Ideologie.

 

Jerusalem ist wie ein in Stein gegossenes Geschichtsbuch.

 

Meine Pilgerreise ins Heilige Land im April 2018 war voll mit unvergleichlichen Momenten an biblischen Erinnerungsorten, die mir seit meiner Kindheit vertraut waren: Nazareth, See Genezareth, Kafarnaum, Jerusalem, Berg Tabor, Berg der Versuchung, Fluss Jordan und Bethlehem. Im Laufe dieser Reise wurden diese Orte lebendig und erhielten eine neue Bedeutung.

 

Eingebettet in Religion, Geschichte und Archäologie führte mich diese außergewöhnliche Reise zu den wichtigsten Orten und Landschaften der Bibel. Ich besuchte Stätten des Alten Testaments sowie Dörfer, Städte und Regionen, die mit dem Wirken Jesu verbunden sind und entdeckte die biblischen Wurzeln meines Glaubens.

 

Neben Jerusalem, einer Stadt, die mich besonders berührt hat, ist es Bethlehem, das den stärksten Eindruck auf mich hinterlassen hat. Der Geburtsort Jesu, liegt nur einen Steinwurf von Jerusalem entfernt, und doch trennen Welten die beiden biblischen Stätten. Im konfliktgeplagten Nahen Osten sind die geografischen Distanzen ebenso klein, wie die politischen Kontroversen groß sind.

 

Würde die heilige Familie heute Herberge suchen, ihr Weg würde an jener 9 Meter hohen Mauer enden, mit dem sich der Staat Israel vor Palästina absichert und abschottet. Hinter dieser Mauer, in Bethlehem, bin ich wahrer Armut begegnet.

 

Bethlehem mit seinen etwa 30.000 Einwohnern liegt in der von Olivenbäumen und Weinreben geschmückten Hügellandschaft des judäischen Berglandes. Die Stadt befindet sich damit im Westjordanland und gehört zum Verwaltungsgebiet der palästinensischen Autonomiebehörde. Fast das gesamte Westjordanland ist durch eine Mauer nach dem Vorbild der Berliner Mauer vom Zugang nach Israel abgeschnitten. Zusammen mit einer mehrfach gesicherten Stacheldrahtkonstruktion zieht sich heute die von Israel errichtete Mauer mehr als 700 km quer durch das Land. Auch durch Bethlehem.

 

Bethlehem ist heute wegen seiner Lage im Westjordanland muslimisch geprägt. Für den Islam macht das wegen der historischen Bedeutung von Bethlehem Sinn: Der Prophet Mohammed soll hier auf seinem Weg nach Jerusalem gebetet haben. Wegen der biblischen Nennung Bethlehems als Geburtsort von Jesus Christus ist die Stadt auch einer der wichtigsten christlichen Pilgerorte. Gleichzeitig ist Bethlehem auch für Juden von herausragender Bedeutung, da der Ort als Heimat von König David gilt.

 

In Bethlehem angekommen, fiel mir direkt die große, offensichtliche Armut auf. Die Müllberge in den Straßen jenseits der Altstadt haben fast schon indisches Niveau – wegen der politischen Situation gibt es für Dinge, die eine gut funktionierende Stadtverwaltung ausmachen, kein Geld.

 

Inmitten dieser trostlosen, eingeschlossenen Gegend, hatte ich Gelegenheit, eine wahre Oase des Friedens und der Hoffnung zu besuchen. Das „Home of Peace“ in Bethlehem, ein von Nonnen geführtes Waisenhaus für verlassene Kinder.

 

Dieses Waisenhaus wurde 2010 von Elisabeth-Schwestern mitten im konfliktbehafteten Bethlehem errichtet, um Kinder zu retten. Es sind Kinder unterschiedlichen Alters, Kriegsopfer, Opfer von Gewalt, Opfer von Armut und Hunger, Opfer von familiären Konflikten.

 

Die Kinder, die von den Schwestern liebevoll im christlichen Glauben erzogen werden, finden zunächst im „Home of Peace“ einen Zufluchtsort, eine Oase inmitten von Chaos und Gewalt.

 

Sie leben in einer uns fremden Welt, einer Welt, die von Gewalt und Hass getränkt ist, einer Welt, in der das Zuhause von Stacheldraht umgeben ist, in der sie beim Spielen Schüsse hören, in einer Welt, in der sie auf dem Schulweg jederzeit Opfer einer Schießerei oder eines terroristischen Anschlages werden können. In einer Welt voller Angst.

 

Das „Home of Peace“ bietet ihnen die Sicherheit und Geborgenheit, die außerhalb des Stacheldrahtes nicht existiert. Es ist das einzige Zuhause, das sie kennen. Dort lernen diese geschundenen, kleinen Seelen, wieder zu vertrauen und zu lieben. Trotz Hass und Gewalt vor deren Tür. Und den eigenen traumatischen Erlebnissen zum Trotz. Dort lernen sie, gute Menschen zu sein.  

 

Die Schwestern sind dort, um den verlassenen Kindern zu helfen – aber sie können nichts ohne die Hilfe anderer ausrichten.

 

Zunächst als vager Herzenswunsch, nunmehr als feste Herzensentscheidung werde ich im kommenden Jahr ein 4wöchiges Volontariat im Haus des Friedens absolvieren und die Schwestern bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Weil ich fest daran glaube, dass alles, was geschieht, einen tiefsinnigen Grund hat. Und weil es ein erfüllendes Gefühl ist, etwas zurückgeben zu können.

 

www.homeofpeace.cba.pl