Exercitia Spiritualia - Ohne Worte

Es ist mittlerweile viel Zeit vergangen seit meinem Rückzug ins Kloster im Oktober 2018. Und doch ist die Erinnerung an diese außergewöhnliche Woche in völliger Stille lebendiger als zuvor.

 

Inmitten der Hektik des Alltags habe ich damals meine eigene innere Stimme nicht mehr gehört. Ich fühlte mich gehetzt und durch andere Menschen gelenkt, betäubt und gestresst. Ich hatte das Gefühl, 24 Stunden lang aufmerksam sein zu müssen, um bloß keinen Fehler zu machen und hinterher zu kommen. Wem oder was eigentlich…? Diese Frage ist mir damals nicht in den Sinn gekommen.

 

Ständig wartete ich gehetzt auf neue Informationen, um diese dann im Laufschritt umzusetzen und unermüdlich weiter zu rennen. Ich war betäubt von so vielen Einflüssen von außen, ich war eine Sklavin der Medien. Empfänger und Sender. Immer und immer wieder, in einer Endlosschleife gefangen. Unermüdlich.

 

Ich brauchte eine Pause, Pause von der Welt, Pause von den Menschen. Ich brauchte eine Erneuerung. Ich brauchte etwas Besonderes. Ich brauchte einen Ausstieg. Ich sehnte mich nach Stille. Ich sehnte mich nach Gott, dessen Stimme für mich auch nicht mehr hörbar war. Ich fühlte mich leer, ausgelaugt und getrieben.

 

Und so fiel am 23. Oktober 2018 die schwere Tür eines im polnischen Tatra-Gebirge befindlichen Jesuiten-Klosters hinter mir ins Schloss und eine der wichtigen Reisen meines Lebens nahm ihren Anfang. Die Reise zu mir selbst, in völliger Stille und für eine Woche von der Außenwelt abgeschnitten.

 

Zunächst fühlte sich dieser Zustand merkwürdig an. Die von mir so heiß ersehnte Stille, das plötzliche Stoppen von 100 auf 0, das Ausschalten des Telefons, keine Nachrichten, keine Medien – Stille kann so unerträglich laut sein. Nicht online zu sein fühlte sich plötzlich jedoch auch wie ein Befreiungsschlag an.

 

Innerhalb der Klostermauern erwartete mich ein geregelter Tagesablauf, fernab der Hektik des Alltags. Die Mahlzeiten erfolgten in der Gruppe, natürlich auch schweigend. Ebenso die gemeinsamen, stillen Gebete in der Kloster-Kapelle oder der nebenan befindlichen kleinen Kirche. Während sich dieser neue Zustand anfangs noch befremdlich anfühlte, weil der Mensch von klein auf auf Kommunikation getrimmt ist, wurde er nach einer kurzen Eingewöhnungsphase zur angenehmen Normalität.

 

Während dieser außergewöhnlichen Reise zu uns selbst und zu Gott wurden die Teilnehmer von Jesuiten begleitet und im Einzelfall aufgefangen und unterstützt. Täglich fanden Bibel-Konferenzen statt, in denen wir – schweigend natürlich – den Ausführungen der Jesuiten lauschten. Anschließend bekamen wir die Gelegenheit, uns mit dem Gehörten meditativ auseinanderzusetzen, jeder für sich. Hierfür  gab es mehrere Orte im Kloster oder auf dem Klostergelände, die zur Verfügung standen.

Ich verbrachte diese besonderen Momente am liebsten in der an das Kloster angrenzenden kleinen Kirche. An manchen Tagen stundenlang – nur Er und ich. Anfangs war die Stille fast unerträglich, ich hörte meine eigenen Gedanken nicht und konnte mich nicht konzentrieren. Das Chaos im Kopf schrie, während die Außenwelt schwieg. Aber irgendwann beruhigte sich auch der Kopf. Und meine Gedanken sortierten sich, besannen sich auf das Wichtigste: Den Dialog zwischen Gott und mir.

 

Diese Augenblicke waren bahnbrechend, Bilder aus der Vergangenheit tauchten plötzlich auf, Tränen flossen. Und es schlich sich plötzlich das Gefühl ein, dass ich inmitten dieser Stille nicht alleine bin und auch nie war. Und die Last des Lebens nie alleine tragen musste. Denn deutlicher als je zuvor hatte ich plötzlich das Gefühl, dass Er niemals meine Hand losgelassen hat. Dass Er immer da war, um mir beizustehen. Ich sah die Bilder meines Lebens vor meinem geistigen Auge, all die Szenarien der Vergangenheit, dramatische Momente, in denen ich mich so oft alleine gelassen fühlte. Und Er ließ mich in den Bildern sehen, dass Er mir immer zur Seite stand, mich durch diese Zeiten trug und Trost spendete. Das zu sehen hat mein Herz mit unendlicher Liebe und Zuversicht geflutet.

 

Im Nachhinein empfinde ich die Zeit in dem Kloster als die wichtigste und eindringlichste Erfahrung meines Lebens. Und auch als einen Segen. Ich verließ das Kloster mit einem Gefühl der Stärke, des Vertrauens und der Zuversicht. Das Gefühl, zu wissen, dass Er immer bei mir ist und immer bei mir war, hat mein Herz mit Dankbarkeit geflutet.

 

Nach Verlassen des Klosters fiel es mir schwer, das Handy wieder einzuschalten. Die Menschenmassen und die vielen Geräusche des Alltags in Zakopane störten mich sehr. Der Duft der Welt schreckte mich ab, viel zu sehr war ich noch berauscht von dem Duft der wohltuenden Einsamkeit. Die alte, neue Welt fühlte sich an wie ein Moloch aus Stimmenwirrwarr, Gerüchen und hetzenden Menschen. Viel zu laut und viel zu hektisch. Ich flüchtete mich für eine Weile noch in die Berge, wo ich mein neu erlangtes Lebensgefühl noch eine ganze Weile genießen konnte, bevor ich in die alte Welt zurückkehrte.

 

Noch heute flüchte ich mich manchmal in diese Zeit der Stille in meinen Gedanken zurück. Und sehne mich nach ihr. Diese Erfahrung, wieder zu sich zu finden, die Welt einfach für einen Moment auszuschalten, war wie ein wohltuender Balsam für meine Seele.

 

Das Gefühl zu wissen, dass niemand und nichts in der Lage ist, meine Hand aus Seiner zu reißen, hat mich in meinem Glauben sehr gestärkt. Ich habe erkannt, dass meine Vergangenheit, all meine Stürze, all meine Taten, die guten und die schlechten, die Bedingung für meine Berufung sind. Nichts geschieht ohne Grund, nichts geschieht ohne Sein Einverständnis. Alles ist Sein Plan. Durch diese Erkenntnis hadere ich nicht mehr mit dem Schicksal.

 

Ich vertraue darauf, dass Gott genau bewusst mich für die Aufgaben meines Lebens auserwählt hat. Ich vertraue auf Ihn.

Da wo ich bin, bin ich genau richtig, denn Er hat diesen Lebensweg für mich bestimmt.

 

Und Er geht ihn mit mir.

Immer.

Bedingungslos.

   

As long as you know that God is for you, it doesn´t matter, who is against you ♥. 

Zakopane ❤ Tatra-Gebirge
Zakopane ❤ Tatra-Gebirge